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Schiedsrichter 03. 12. 2023

Im Porträt Marcel Unger: Charakter auch bei ausbleibendem Erfolg gezeigt

Als Corona keinen Fußball zuließ, haben wir im Zeitraum vom 09.12.20 bis zum 17.02.21 24 Schiedsrichter der Landesliste des Thüringer Fußball-Verbandes (TFV) vorgestellt. Nun wollen wir uns den höherklassig pfeifenden Unparteiischen  zuwenden und versuchen, jeden, der es wünscht, bis zum Saisonende zu porträtieren:

Heute: Marcel Unger (XV)

Marcel Unger prägt im Laufe unseres Gesprächs einen sehr bemerkenswerten Satz: „Mit Erfolgen können vermutlich alle gut umgehen. Die Frage ist halt, wie man sich verhält, wenn es mal nicht läuft und die Kurve nach unten zeigt.“

Wie und wann er in einer solchen Situation war, erklärt er ganz ausführlich und sehr ehrlich: „Mit 26 Jahren habe ich bereits 2. Bundesliga gepfiffen und war in der Bundesliga Assistent. Bis dahin lief bei mir alles extrem geradlinig und sehr schnell. Er war ein regelrechter Raketenaufstieg ohne Probleme und mit ganz wenigen Rückschlägen. Ich habe zwei Jahre Partien in der 2. Liga geleitet, damals noch ohne Videoassistent. Dann habe ich Einzelsituationen falsch entschieden und  bin wieder abgestiegen. Das war gleichbedeutend mit der Prognose, dass sich die Karriere wohl erledigt hat. Natürlich war ich niedergeschlagen und enttäuscht. Ich habe zwar noch ein Jahr 3. Líga gepfiffen, aber danach war die Schiedsrichterlaufbahn auf diesem Niveau eigentlich durch. Ich habe mich jedoch als Assistent spezialisiert, habe aber ‚nebenbei’ noch ein Paar Spiele in der Regionalliga geleitet und war so ab und an mit früheren Weggefährten unterwegs. Ich war dann sechs Jahre in der 2. Bundesliga Assistent, immer in der Hoffnung, es noch einmal zu schaffen. Da stellt man sich natürlich einige Fragen, aber nach diesem Zeitraum hat der Aufstieg als Assistent ab der Saison 2019/20 in die Bundesliga geklappt. Daraus bin ich letztlich stärker geworden und deshalb auch in der Bundesliga so gut angekommen.“

Hier hat er sich mittlerweile sehr gut etabliert. Wenig Hoffnung macht sich Unger hingegen, als FIFA-Assistent eingesetzt zu werden. Da ist durch seine berufliche Tätigkeit und das Alter kaum möglich. Umso mehr freut es ihn, wenn er mal, wie 2021, in der Euro-League in Bulgarien oder 2023 in Athen als Assistent in der Champions League zum Einsatz kommen durfte.

Dem früheren Leichtathleten mit Spezialgebiet Hürdenlauf wurde die Schiedsrichterei förmlich in die Wiege gelegt. Denn Vater und Bruder waren selbst Unparteiische, wobei sein „älterer Herr“ im Raum Nordhausen schon eine Schiedsrichterikone gewesen sei, sagte unser Gesprächspartner. Er habe das Schiedsen eigentlich gar nicht auf der Agenda gehabt und wisse heute nicht, was ihn dazu bewogen habe, bekennt er. Doch er war oft Zuschauer bei Vater und Bruder. Mit gerade einmal 13 Jahren startete er den Versuch, weil auch das Taschengeld habe für so einen Jungen durchaus gelockt habe.

Schon im Jahre 2000 fiel Unger bei einem Lehrgang in Bad Blankenburg auf, denn er wurde als jüngster Teilnehmer Bester. Gerade einmal 16-jährig führte er bereits Männermannschaften im Kreis auf das Spielfeld.

Nun nahm die Karriere an Rasanz zu. 2002 folgte ein DFB-Lehrgang. In diesem Jahr wurde er in der zweiten Halbserie auch in die damalige Bezirksliga eingeordnet. Im September 2002 erhielt er bereits die ersten Aufgaben in der Landesklasse. Ab dem Spieljahr 2003/04 las man den Namen des veranlagten Unparteiischen auf der Liste der Thüringenliga-Schiedsrichter. An die erste Begegnung in der Thüringer Eliteliga erinnert sich Marcel Unger ohne großes Nachdenken. Es war das Treffen 1. SC 1911 Heiligenstadt gegen den 1. FC Gera 03.

Sein leider schon verstorbener Vater hat viele Jahre Buch über die Einsätze seines Sohnes als Schieds- und Linienrichter geführt. Damals ist er bei 800 stehen geblieben. Eine exakte Zahl kann Marcel Unger heute zwar nicht liefern, aber es seien bislang ungefähr 1.400 Spiele, beantwortet er unsere Frage.

Was macht nun die Stärken eines Mannes an der Linie aus? Auch darauf antwortet Marcel Unger wohldurchdacht: „Ganz viel macht die Erfahrung aus. Das hat mir ein älterer Unparteiischer immer wieder gesagt. Besonders in der Bundesliga hat man es mit Geschwindigkeiten zu tun, die das menschliche Auge praktisch nicht mehr wahrnehmen kann. Da hilft einem die Erfahrung ungemein. Das ist auch der Grund, warum die Assistenten eine recht hohe Trefferquote haben.“

Er fügt hinzu: „Als Assistent muss man ein guter Teamplayer sein und sich ein Stück weit auf den Schiedsrichter einstellen. Der ist der Chef und wir sind ‚nur’ die ‚Hilfen’. Man muss kein extremer Ausdauerläufer, aber schon sehr schnell und sprintstark sein. Auch Einfühlungsvermögen gehört dazu. Dafür ist es gut, wenn man in gewissen Spielklassen schon Referee war.“

Marcel Unger wohnt nicht in Thüringen, sondern in Tangstedt in Schleswig-Holstein. Hier arbeitet der Diplom-Wirtschaftsinformatiker als Leiter SAP-ERP. Aber Unger ist durchaus Thüringer, denn er pfeift für die FSG 99 Salza-Nordhausen.

Der Aufwand als Assistent ist hoch. Meist müssen eineinhalb Tage dafür eingeplant werden. Da bleibt neben dem intensiven Vollzeitjob, den er sehr gern macht. nicht mehr viel Freizeit. Die nutzt er für die Familie, die ihn rückhaltlos unterstützt und die für ihn alles bedeutet, und die beiden Kinder im Alter von einem und vier Jahren. Da er nach wie vor ein passionierter Läufer ist, bezieht er schon die Kids mit ein.

Wie viele andere nennt Marcel Unger auch Personen, die ihn in seiner Laufbahn unterstützt haben, ohne dass dies eine vollständige Übersicht ist. Da fallen die Namen von Jürgen Muscat, Udo Penßler-Beyer, Peter Weise und Stefan Weber. Viel mitgefahren ist er bei Tino Wenkel. Von ihm habe er auch für seine Persönlichkeitsentwicklung viel gelernt.

Abschließend sagt Marcel Unger noch einmal etwas Bemerkenswertes: „Ich würde mir nie anmaßen zu sagen, dass ich so gut bin und dass kein Weg an mir vorbei führt. Es gehört neben Ehrgeiz und Talent auch viel Glück an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit dazu. Ich kann es nur wiederholen: Es kann auch mal nicht nur nach oben gehen – und dann zeigt sich der Charakter.“

Fotos: 01 und 02 DFB

Hartmut Gerlach